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Eins von zwei inhaltlich identischen Testamenten zerrissen: Bei eindeutigem Erblasserwillen sind beide unwirksam

Erben & Schenken 16. Oktober 2020
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alexkich / stock.adobe.com

Sind zwei inhaltlich identische Testamente in der Welt und ist der Erblasserwille eindeutig, die Verfügung darin getroffene Verfügung aufheben zu wollen, reicht es, eins zu zerreißen. Das andere wird dann ebenfalls unwirksam.

Eine Ehefrau hatte mit ihrem Ehemann am 16.11.2007 einen notariellen Erbvertrag geschlossen. In diesem Erbvertrag hatten sich die Eheleute für den ersten Erbfall gegenseitig als alleinige Erben eingesetzt. Nach dem Tod des zuletzt Versterbenden sollte laut Erbvertrag ein Urenkel des Ehepaares Erbe werden. Zudem wurde in dem Erbvertrag festgelegt, dass der überlebende Ehepartner die in dem Erbvertrag festgelegte Erbfolge jederzeit durch Testament abändern darf. Der Ehemann verstarb im Jahr 2008.

Mit privatschriftlichem Testament vom 29.10.2015 widerrief die spätere Erblasserin dann tatsächlich sämtliche zeitlich früheren Verfügungen von Todes wegen und setzte ihre Haushaltshilfe als alleinige Erbin ein. An diese Haushaltshilfe hatte die Erblasserin im Dezember 2015 bereits eine Immobilie äußerst günstig verkauft und ihr darüber hinaus eine umfangreiche Vollmacht erteilt. Nachdem die Haushaltshilfe mit Hilfe der erteilten Vollmacht vom Konto der Witwe einen Betrag in Höhe von € 50.000,- abgehoben hatte, entzog diese der Haushaltshilfe die Vollmacht wieder. Am 16.5.2019 verstarb dann auch die Ehefrau.

Daraufhin beantragte die Haushaltshilfe gestützt auf das Testament vom 29.10.2015 beim zuständigen Nachlassgericht einen Erbschein, der sie als alleinige Erbin der Erblasserin ausweisen sollte. Gegen den Erbscheinsantrag der Haushaltshilfe protestierte nun  der Urenkel der Erblasserin, der in dem Erbvertrag aus dem Jahr 2007 als alleiniger Erbe benannt worden war.

Dabei kam heraus, dass die Erblasserin im Juni 2017 einen Rechtsanwalt aufgesucht hatte, weil sie den Verkauf der Immobilie an die Haushaltshilfe rückgängig machen wollte. Zudem wollte sie an der Erbeinsetzung der Haushaltshilfe nicht länger festhalten. Zur Bekräftigung dieses Wunsches habe die Erblasserin ein (weiteres) Original des Testaments vor den Augen ihres Anwalts zerrissen. Vor diesem Hintergrund beantragte nun der Urenkel der Erblasserin einen Erbschein als Alleinerbe, den er auch bekam.

Dabei wollte es die Haushaltshilfe nicht belassen. Sie legte Beschwerde zum Oberlandesgericht ein. Ohne Erfolg. Das Gericht stellte fest, wenn nur ein von mehreren vorhandenen gleich lautenden Testamenten vernichtet werde, müsse ermittelt werden, ob der Erblasser die Absicht hatte, mit dem Widerruf des einen Testaments auch gleichzeitig die anderen vorhandenen Testamente außer Kraft zu setzen. Diesen Willen konnten die Richter im zu entscheidenden Fall bei der Erblasserin feststellen, da durch die Zeugenaussage des Rechtsanwalts entsprechende Äußerungen der Erblasserin belegt waren.

Die Existenz eines unzerstörten Testaments ändere somit nichts daran, dass sich die Erbfolge nach dem Erbvertrag aus dem Jahr 2007 richtet. Der Urenkel der Erblasserin wurde somit doch noch zum alleinigen Erben.

OLG Köln, Beschluss vom 22.4.2020,  2 Wx 84/20