Befreiung des Vorerben von Verfügungsbeschränkung muss im Testament ausdrücklich angeordnet werden
Ein in zweiter Ehe verheirateter Mann war im Jahr 2016 verstorben. Aus seiner ersten Ehe hatte der Erblasser eine Tochter und einen Sohn. Die zweite Ehefrau hatte einen Sohn aus einer früheren Beziehung in die Ehe mitgebracht. Am 19.10.2015 hatte der Mann ein Testament mit folgendem Wortlaut errichtet:
„Mein Testament
Ich G.J.H. geb. … in M. verfüge als meinen letzten Willen Folgendes:
Meine Ehefrau soll Alleinerbin werden.
Nach ihrem hoffentlich späten Ableben, soll der Besitz an meine beiden Kinder je zur Hälfte übergehen …
Eigenhändige Unterschrift des Erblassers.“
Der Nachlass des Erblassers bestand im Wesentlichen aus einer selbstgenutzten Immobilie im Wert von ca. € 570.000,-, die aber noch mit rund € 185.000,- belastet war. Die Witwe erhielt antragsgemäß einen Erbschein, der sie als befreite Vorerbin des Verstorbenen auswies. Das gefiel der Tochter nicht. Die war der Meinung, dass die zweite Ehefrau in dem vorliegenden Testament allenfalls als nicht befreite Vorerbin eingesetzt worden war.
Die Sache ging bis zum Oberlandesgericht München. Das entschied zugunsten der Tochter. Das OLG kam in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass das Testament des Erblassers zwar die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft enthält. Die Ehefrau sei in diesem Testament aber lediglich als „normale“ und nicht „befreite Vorerbin“ eingesetzt worden. Denn der Regelfall sei eine nicht befreite Vorerbschaft. Eine Befreiung müsse ausdrücklich erfolgen oder sich aus einer Auslegung des Testaments ergeben. Beides war hier nicht gegeben.
Der Umstand, dass der Erblasser seiner Ehefrau in seinem Testament ein langes Leben gewünscht hatte, ließe nicht den Rückschluss zu, der Erblasser habe seine Frau zur befreiten Vorerbin machen wollen. Hinzu kam, dass die Ehefrau selber keinen wesentlichen Beitrag zum Vermögenserwerb des Erblassers geleistet hatte. Dies spreche in der Regel gegen eine Befreiung der Ehefrau als Vorerbin.
OLG München, Beschluss vom 9.1.2019, 31 Wx 39/18