Wann ist ein Reiserücktritt wegen Corona kostenlos?
Eine unzumutbare Gesundheitsbeeinträchtigung wegen der Corona-Pandemie kann Reisende zum kostenfreien Rücktritt von einer gebuchten Pauschalreise berechtigen. Der Entschädigungsanspruch von Reiseveranstaltern entfällt, wenn die Verbraucher etwa durch die Pandemie gesundheitlichen Risiken ausgesetzt sind. Hierbei können auch Alter und Vorerkrankungen eine Rolle spielen. Faustformel: Je konkreter die Infektionsgefahr, umso eher ist ein kostenfreier Rücktritt möglich. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte über drei Einzelfälle zu entscheiden:
Eine 84-jährige Dame hatte für Juni 2020 eine Donau-Kreuzfahrt für € 1.600,– gebucht. Zwei Wochen vor Abfahrt trat sie wegen der Corona-Pandemie von der Reise zurück. Auch wegen ihres hohen Alters ging die Frau davon aus, sie wäre durch die räumliche Nähe bei einer Flusskreuzfahrt besonders gefährdet gewesen. Der Reiseveranstalter hielt an der Kreuzfahrt fest (u.a. mit einem Hygienekonzept und mit einer verringerten Teilnehmerzahl). Stornokosten in Höhe von € 1.000,– behielt er ein.
Der BGH stellte fest, Reiseveranstalter haben bei Stornierungen grundsätzlich einen »Entschädigungsanspruch«. Das gilt allerdings nicht, wenn die Reise aufgrund von außergewöhnlichen Umständen mit erheblichen und nicht zumutbaren Beeinträchtigungen verbunden wäre (z.B. Risiken für die Gesundheit). Für die Donau-Kreuzfahrt liegt ein solches Risiko vor. Folge: Der Veranstalter muss die Stornokosten erstatten (Az. X ZR 66/21).
Beachten Sie: Im fraglichen Stornierungszeitpunkt hat es noch keine Impfungen und Therapien gegeben. Darauf können sich Senioren nicht berufen, die noch nach Ausbruch der Pandemie eine Reise gebucht haben. Hier dürfen die Gerichte davon ausgehen, dass die Reisenden wussten, worauf sie sich einlassen.
Ein Familienvater hatte für zwei Erwachsene und ein Kind für Juli 2020 eine Pauschalreise nach Mallorca für € 3.500,– gebucht. Anfang Juni erklärte der Mann den Rücktritt. Das gebuchte Hotel war damals »pandemiebedingt nicht geöffnet«. Es machte auch im Juli nicht wieder auf.
Der BGH stellte fest, das geschlossene Hotel allein ist kein Grund, dem Mann die Stornogebühren zu erlassen. Vielmehr kann die Stornierung einer Mallorca-Reise wegen der coronabedingten Schließung eines gebuchten Hotels Stornogebühren nach sich ziehen. Die Pandemie stellt nicht automatisch eine »erhebliche Beeinträchtigung« dar. Es ist vielmehr zu klären, wie im Reisezeitraum die Corona-Lage auf Mallorca aussah und ob für den Kläger eine andere Unterkunft zumutbar gewesen wäre.
Deshalb verwies der BGH den Streit zur weiteren Prüfung an das Landgericht Düsseldorf zurück (Az. X ZR 84/21).
Ein Mann hatte für August 2020 eine Ostsee-Kreuzfahrt gebucht zu einem Gesamtpreis von mehr als € 8.000,–. Rund € 3.200,– hatte er angezahlt. Ende März 2020 trat er vom Vertrag zurück. Zu diesem Zeitpunkt gab es eine weltweite Reisewarnung des Auswärtigen Amts vor »nicht notwendigen, touristischen Reisen in das Ausland«. Im Juli sagte der Veranstalter die Kreuzfahrt komplett ab. Von dem Kunden behielt er einen Teil der Anzahlung ein.
Für die Frage, ob ein kostenloser Rücktritt möglich ist, kommt es laut BGH maßgeblich auf den Umstand an, dass der Kunde seinen Rücktritt erklärt hatte, ehe der Veranstalter die Reise absagte. Ob in einer solchen Situation der Veranstalter die Stornogebühren zurückgeben muss, ist eine Frage des EU-Rechts. Der Europäische Gerichtshof muss klären, was passiert, wenn der Veranstalter nach einem Reiserücktritt die Reise generell absagt. Die Frage ist dem EuGH bereits vorgelegt. Der Rechtsstreit wurde bis zu dieser Entscheidung ausgesetzt (Az. X ZR 3/22).
BGH, Urteil vom 30.8.2022, X ZR 66/21 u.a.