Das Musizieren von Kindern ist in der Regel zu dulden
Es kam zum Streit zwischen den Eigentümern zweier benachbarter freistehender Einfamilienhäuser. In einem wohnte ein kinderloses Ehepaar, im anderen eine Familie mit vier minderjährigen Kindern.
Das Ehepaar beschwerte sich darüber, dass die Nachbarskinder regelmäßig Musik machen, konkret Schlagzeug, Tenorhorn und Saxofon spielen. Dabei würden die Ruhezeiten nicht eingehalten und die Lautstärke erreiche regelmäßig Werte von deutlich über 55 dB, teilweise bis zu 70 dB. Die Nachbarn fühlten sich durch den Musiklärm in der Nutzung ihres Grundstücks wesentlich beeinträchtigt wird. Sie verlangten Unterlassung.
Die Eltern der musizierenden Kinder bestritten das Ausmaß und die Zeiten der Lärmbelästigung. Sie entgegneten, während des Musizierens seien Türen und Fenster stets geschlossen.
Das Amtsgericht München räumte in seiner Entscheidung dem Musizieren der Kinder den Vorrang ein. Begründung: Musik ist kein Lärm.
Das Gericht wertete vorgelegten Lärmprotokolle der Nachbarn aus. In einem Zeitraum von mehr als zwei Jahren waren lediglich fünf relevante Verstöße notiert worden. Musizieren in den Ruhezeiten (z. B. mittags) ist somit nicht die Regel.
In den festgestellten Lärmspitzen berücksichtigte das Gericht, dass der Lärm von minderjährigen Kinder verursacht wurde. Dieser wird von Gesetzes wegen grundsätzlich privilegiert. Es gilt als sozialadäquat, dass Kinder Lärm machen.
Das Interesse der Kinder am Musizieren hat Vorrang. Denn die gesunde Entwicklung junger Menschen steht unter dem besonderen Schutz und liegt im besonderen Interesse des Staates (Art. 6 GG). Dies überwiegt das Ruhebedürfnis der Nachbarn.
Zwar wurde die Lärmbelästigung nicht durch ein Sachverständigengutachten festgestellt. Der zuständige Richter machte sich aber in einem Ortstermin ein Bild. Dabei war insbesondere das Schlagzeug durch die geschlossenen Fenster zu hören. Der Geräuschpegel war nach Auffassung des Gerichts nicht unzumutbar.
Musik, so das Gericht, ist „nur dann als Lärm zu klassifizieren, wenn jemand absichtlich den Vorgang des Musizierens in eine bloße Produktion von Geräuschen pervertiert“.
AG München, Urteil vom 16. 6. 2017, 171 C 14312/16; n. rk.
Lesen Sie auch unseren Rechtstipp: Das Nachbarrechts-ABC