BGH-Entscheidung zu Voraussetzungen einer Patientenverfügung
Eine 1940 geborene Frau erlitt im Mai 2008 einen Schlaganfall und befindet sich nach einem hypoxisch bedingten Herz-Kreislaufstillstand im Juni 2008 im Wachkoma. Sie wird seitdem über eine Magensonde künstlich ernährt und mit Flüssigkeit versorgt. Die Frau hatte schon im Jahr 1998 eine Patientenverfügung unterschrieben. Darin hatte sie festgelegt, dass unter anderem dann, wenn keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht, oder aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibt, "lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben" sollten.
Zudem hatte sie zwischen 1998 und ihrem Schlaganfall mehrfach gegenüber verschiedenen Familienangehörigen und Bekannten angesichts zweier Wachkomapatienten aus ihrem persönlichen Umfeld erklärt, sie selbst wolle nicht künstlich ernährt werden, sie wolle nicht so am Leben erhalten werden, sie wolle nicht so daliegen, lieber wolle sie sterben. Deshalb habe sie mit einer Patientenverfügung für diesen Fall vorgesorgt. Kurz bevor sie aufgrund ihrer Erkrankung in das Wachkoma verfiel, war sie noch einmal in der Lage, ihren Patientenwillen zu äußern. Dabei sagte sie ihrer Therapeutin: "Ich möchte sterben."
2012 wurden der Vater und der Sohn der Frau vom Amtsgericht zu ihren alleinvertretungsberechtigten Betreuern bestellt. Der Sohn ist seit 2014 im Einvernehmen mit dem bis dahin behandelnden Arzt der Ansicht, die künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr solle eingestellt werden, da dies dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen der Betroffenen entspreche. Der Ehemann lehnt dies ab. Das Amtsgericht hatte den Antrag den Antrag des Sohnes auf Genehmigung der Einstellung der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitszufuhr abgelehnt. Das Landgericht beließ es dabei. Jetzt hatte der Bundesgerichtshof über die Sache zu entscheiden.
In Karlsruhe kam man zu dem Ergebnis, dass die Beendigung der künstlichen Ernährung hier grundsätzlich der betreuungsgerichtlichen Genehmigung bedarf, weil im konkreten Fall der Abbruch der Maßnahme die Gefahr des Todes mit sich bringt. Ausnahme: Eine betreuungsgerichtliche Genehmigung ist jedoch dann nicht erforderlich, wenn der Betroffene einen entsprechenden eigenen Willen bereits in einer bindenden Patientenverfügung niedergelegt hat und diese auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft.
Eine schriftliche Patientenverfügung ist aber nur dann unmittelbar zu beachten, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Patienten über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, bei Abfassung der Patientenverfügung noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können. Dabei dürfen die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung aber auch nicht überspannt werden. Entscheidend ist, dass der Verfasser der Verfügung umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation will und was nicht.
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"Keine lebenserhaltenden Maßnahmen" nicht ausreichend
So reicht es nicht aus, "keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen, da diese Aussage für sich genommen keine hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung enthält. Ausreichend ist es dagegen, wenn sich die erforderliche Präzisierung im Einzelfall daraus ergibt, dass auch bei einer weniger detaillierten Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen ergibt. Ob in solchen Fällen eine hinreichend konkrete Patientenverfügung vorliegt, ist dann durch Auslegung der in der Patientenverfügung enthaltenen Erklärungen zu ermitteln.
Im Ergebnis hat der BGH Entscheidung des Landgerichts aufgehoben. Das Gericht hatte sich nicht ausreichend mit der Frage befasst hat, ob sich aus der Patientenverfügung der Frau aus dem Jahr 1998 eine wirksame Einwilligung in den Abbruch der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitsversorgung entnehmen lässt. Schließlich hatte sie in der Patientenverfügung ihren Willen zu der Behandlungssituation unter anderem an die medizinisch eindeutige Voraussetzung geknüpft, dass bei ihr keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht.
Zudem hatte sie die ärztlichen Maßnahmen, die sie in diesem Fall wünscht oder ablehnt, näher konkretisiert. So hatte sie festgelegt, dass eine auf die Linderung von Schmerzen, Unruhe und Angst gerichtete Behandlung und Pflege stattfinden sollten, auch wenn durch die notwendige Schmerzbehandlung eine Lebensverkürzung nicht auszuschließen ist. Diese Festlegungen könnten so verstanden werden, dass die Patientin im Falle eines aus medizinischer Sicht irreversiblen Bewusstseinsverlusts wirksam in den Abbruch der künstlichen Ernährung mit ihrer Patientenverfügung eingewilligt hatte. Ob der aktuelle Gesundheitszustand der Patientin auf diese konkret bezeichnete Behandlungssituation zutrifft, muss nun vom Landgericht nachgeholt werden.
Kommt das Landgericht hierbei zu dem Ergebnis, dass der derzeitige Gesundheitszustand der Patientin nicht den Festlegungen der Verfügung entspricht, muss es weiter prüfen, ob ein Abbruch der künstlichen Ernährung dem mutmaßlichen Willen der Patientin entspricht. Dieser ist anhand konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln, insbesondere anhand früherer mündlicher oder schriftlicher Äußerungen, ethischer oder religiöser Überzeugungen oder sonstiger persönlicher Wertvorstellungen der Betroffenen. Entscheidend ist dabei, wie sie entschieden hätte, wenn sie noch in der Lage wäre, über sich selbst zu bestimmen.
(BGH, Beschluss vom 8.2.2017, Az. XII ZB 604/15)
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