Wer den Pflichtteil fordert, riskiert Vermächtnisverlust
Eine Frau setzte ihre Tochter zur Alleinerbin ein. Dem Sohn wendete sie ihr Barvermögen inklusive von Wertpapieren im Vermächtniswege zu. Der Sohn befürchtete, dass das Vermächtnis im Wert unterhalb seines Pflichtteils liegen würde. Er verlangte daher Auskunft über den Nachlassbestand, um seinen Pflichtteil beziffern zu können, und dann auch die Zahlung des sich hieraus ergebenden Betrages. Nach Erhalt der Auskunft, wollte der Bruder sein Vermächtnis erfüllt haben. Seine Schwester war jedoch der Ansicht, dass dieser Anspruch nicht mehr besteht, sondern er nur noch Anspruch auf seinen Pflichtteil hat.
Nach einer Entscheidung des Landgerichts (LG) Bochum hat der Bruder seinen Anspruch auf Erfüllung des Vermächtnisses verloren. Er hat das Vermächtnis durch Geltendmachung des Pflichtteils gegenüber der Erbin ausgeschlagen. Dass die Ausschlagung nicht ausdrücklich erfolgt sei, ist unschädlich, da auch eine konkludente Ausschlagung möglich ist.
Formbedürftig ist die Ausschlagung ohnehin nicht. Eine Ausschlagung könne daher schon darin zu sehen sein, dass der Pflichtteil verlangt wird. Dabei handelt es sich aber nicht um einen Automatismus, sondern es ist stets eine Auslegung im Einzelfall erforderlich. Von Bedeutung ist dabei, ob der Pflichtteilsberechtigte von seinem Wahlrecht weiß. Dies sei hier der Fall gewesen, da der Pflichtteilsberechtigte anwaltlich beraten gewesen sei. Ferner sei hier nicht nur Auskunft verlangt worden, um eine Wahl treffen zu können, sondern schon Zahlung des Pflichtteils. Daher kann der Bruder nur noch Zahlung des Pflichtteils und nicht mehr das Barvermögen und die Wertpapiere verlangen.
LG Bochum, Urteil vom 24.6.2022, 1–5 O 41/2