Keine Pflichtteilsergänzung nach Ablauf der Zehnjahresfrist trotz vorbehaltenen Wohnrechts
Ein Ehepaar hatte sich gegenseitig in einem gemeinschaftlichen Testament zu Erben eingesetzt, Schlusserben nach dem Tod des Längerlebenden sollten die beiden Söhne werden. Allerdings hatten die Eheleute dem einen Sohn schon 1994 das Eigentum an ihrem Wohnhaus übertragen. Die Eltern behielten sich an der Immobilie aber ein im Grundbuch eingetragenes Wohnrecht an den Räumlichkeiten im Erdgeschoss des dreistöckigen Anwesens vor.
Als der Vater 2012 verstarb, forderte der andere Sohn von der Mutter seinen Pflichtteil. Dabei wollte er bei der Berechnung seines Anspruchs nicht nur das zum Todestag vorhandene Vermögen seines Vaters zugrunde legen. Er verlangte zudem die sogenannte Pflichtteilsergänzung wegen der im Jahr 1994 an den Bruder erfolgten Schenkung, obwohl die für einen solchen Pflichtteilsergänzungsanspruch vorgesehene Frist von 10 Jahren längst abgelaufen war.
Sein Argument: Durch den Vorbehalt eines Wohnungsrechtes sei das Haus wirtschaftlich im Vermögen der Eltern geblieben. Deshalb beginne hier die Zehnjahresfrist erst mit dem Erbfall.
Die Gerichte konnte er nicht überzeugen. Alle drei Instanzen, bis hin zum Bundesgerichtshof, wiesen seine Klage ab. Der Sohn habe zwar recht, wenn der Erblasser auf die verschenkte Sache aufgrund des Wohnrecht nicht verzichten müsse. Aber gegen eine – grundsätzlich mögliche – Hinderung des Laufs der Zehnjahresfrist bei Vorbehalt eines Wohnrechts spricht hier, dass sich die Eltern nicht an dem gesamten Anwesen das Wohnrecht vorbehalten hätten, sondern lediglich an den Räumen im Erdgeschoss.
Die Eltern waren somit eben nicht mehr Herr im Haus. Daruf kommt es jedoch an. Die Schenkung war daher schon 1994 vollzogen und die daher die Zehnjahresfeist in Gang gesetzt. Für die Berechnung des verlangten Pflichtteils war mithin der Wert der Immobilie nicht mehr zu berücksichtigen.
(BGH, Urteil vom 29.6.2016, Az. IV ZR 474/15)