Wer hat Schuld bei Verkehrsunfall ohne Kontakt?
Eine Frau wollte auf ihr Grundstück fahren. Um in ihre Einfahrt zu gelangen, konnte sie nicht einfach abbiegen, sondern musste dabei gleichzeitig wenden (um 270 Grad). Dafür benötigte sie die gesamte Fahrbahn. Ein Wagen, der aus der Gegenrichtung kam, musste ihrem Auto ausweichen. Beim Ausweichmanöver stieß das Fahrzeug an den hervorgehobenen Bordstein einer Bushaltestelle. Dabei wurde sein Fahrzeug beschädigt. Die Versicherung der Frau übernahm den Schaden zu 50 Prozent. Der Mann dagegen verlangt, den Schaden in voller Höhe ersetzt zu bekommen.
Das Landgericht Wuppertal gab dem Mann Recht. Nach Ansicht des Gerichts spricht der Anscheinsbeweis dafür, dass die Frau allein an dem Unfall Schuld hat. Daher steht ihm der volle Schadensersatz zu.
Der Anscheinsbeweis gestattet es, bei typischen Geschehensabläufen auf die Lebenserfahrung zurückzugreifen. Grundsätzlich spricht der Anscheinsbeweis daher gegen denjenigen Unfallbeteiligten, der durch sein verkehrswidriges Verhalten nach der Sachlage den Unfall verursacht hat.
Da die Frau bei ihrem Wendemanöver die gesamte Fahrbahn nutzte, ist davon auszugehen, dass sie den Unfall verursachte. Hier greift der Anscheinsbeweis gleich in zweifacher Hinsicht. Zum einen ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Wendende Schuld daran ist, wenn beim Wenden ein Unfall geschieht – sofern dies nicht anhand von anderen Umständen widerlegt werden kann. Zum anderen gibt es noch den Anscheinsbeweis der Linksabbiegenden, die typischerweise an einem durch das Abbiegen verursachten Unfall die Schuld tragen.
Der Anscheinsbeweis gilt nach Auffassung des Gerichts auch für einen Unfall, bei dem es gar nicht erst zu einer Berührung der beiden Fahrzeuge gekommen ist. Denn der durch den Unfall Geschädigte, der sich noch darum bemüht hatte, mit einem Ausweichmanöver einen Unfall zu verhindern, darf nicht schlechter gestellt werden, als wenn er kein Ausweichmanöver versucht hätte und es daher zu einer Kollision gekommen wäre.
LG Wuppertal, Urteil vom 14.5.2020, 9 S 201/19