Zur Zulässigkeit der Videoüberwachung von Arbeitszeiten
Ausgangspunkt des Verfahrens war ein anonymer Hinweis an den Arbeitgeber im Juni 2019 über ein Whistleblowing-System, wonach mehrere Beschäftigte regelmäßig Arbeitszeitbetrug begingen. Der Arbeitgeber stellte daraufhin Nachforschungen an und nutzte dazu Daten aus einer Videoüberwachung und einer elektronischen Zeiterfassung, die im Eingangsbereich des Werksgeländes installiert waren.
Hinweisschilder der Videoüberwachung wiesen eine Speicherdauer von maximal 96 Stunden aus. Die elektronische Zeiterfassung wurde in einer Betriebsvereinbarung geregelt, wonach keine Auswertung personenbezogener Daten erfolgen durfte.
Im arbeitsrechtlichen Kündigungsrechtsstreit um eine fristlose Kündigung ging es zum einen darum, ob die Videoaufnahmen und Zeiterfassungsdaten des Arbeitgebers rechtmäßig sind. Zum anderen, ob sie als Beweis in einem Kündigungsschutzverfahren vor Gericht eingebracht und verwertet werden durften.
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen entschied, zwar liegen die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung grundsätzlich vor. Ein Arbeitszeitbetrug stellt einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung dar. Er ist als schwerer Vertrauensbruch des Mitarbeiters gegenüber dem Arbeitgeber zu bewerten.
Die Beweislast für diesen wichtigen Grund liegt allerdings beim Arbeitgeber. Dieser durfte sich hier aber weder auf die Daten aus der elektronischen Zeiterfassung noch auf die Videoaufzeichnungen berufen. Es besteht insoweit ein Beweisverwertungsverbot. Die Bilder dürfen nicht im Gerichtsverfahren berücksichtigt werden, denn die Installation der Kamera ist nicht erlaubt.
Dies folgt bereits aus der Selbstverpflichtung des Arbeitgebers, die Daten aus dem Arbeitszeiterfassungssystem nicht mehr zu nutzen. Eine entsprechende Betriebsvereinbarung regelte, dass eine personenbezogene Auswertung von Daten, deren Zweck über die bloße Zutrittserfassung hinausgeht, nicht erlaubt war.
Die Videoaufzeichnungen vom Werkseingang waren zudem nicht verwertbar, da laut Hinweis die Daten »maximal 96 Stunden vorgehalten« werden sollten, die Untersuchung des Verdachts auf Arbeitszeitbetrug jedoch erst über ein Jahr nach dem Pflichtenverstoß erfolgte und zur Kündigung führte. Darin liegt ein eklatanter Verstoß gegen Grundsätze der Datenminimierung und Speicherbegrenzung vor.
Weiter besteht ein grundsätzliches Beweisverwertungsverbot für jeden einfachgesetzlichen Verstoß. Bei besonders tiefgreifenden Grundrechtseingriffen kann der Schutzzweck des Grundrechts der weiteren Verwertung entgegenstehen. Hier liegt ein solcher schwerer Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers, der nicht gerechtfertigt war.
Die Videoüberwachung war zur Kontrolle der geleisteten Arbeitszeiten weder geeignet und erforderlich noch angemessen. Zum einen kann von der Videoüberwachung am Eingangstor nicht auf die Anwesenheit am Arbeitsplatz geschlossen werden. Weiter kann ein Mitarbeiter auch andere Betriebszugänge wählen. Und schließlich stehen andere, verlässlichere Mittel zur Verfügung, um Arbeitszeiten zu erfassen (z.B. Kartenlesegeräte).
Dieses Verwertungsverbot erstreckte sich nach dem Gericht auch auf die indirekte Verwertung, etwa durch Zeugenaussagen, die über die Beobachtungen berichten sollen, die sich aus der Sichtung der Videoaufzeichnungen ergeben.
Folge: Die Kündigung war unwirksam.
LAG Niedersachsen, Urteil vom 6.7.2022, 8 Sa 1150/20; n. rk.