Kündigungsschutzprozess: Kein Verwertungsverbot bei offener Videoüberwachung
Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung, die ein vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen, sind in einem Kündigungsschutzprozess verwertbar. Das gilt selbst dann, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers gegen Datenschutzrecht verstoßen sollte.
Ein Mitarbeiter einer Gießerei soll vor Schichtbeginn das Werksgelände wieder verlassen und später trotzdem Lohn für die Schicht kassiert haben. Ein anonymer Hinweis hatte den Arbeitgeber auf ein Video einer am Tor des Geländes angebrachten Überwachungskamera gestoßen. Dieses sollte den vorzeitigen Feierabend belegen. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis außerordentlich – hilfsweise ordentlich. Der Vorwurf stelle einen »wichtigen Grund« zur Kündigung dar.
Der Mann erhob Kündigungsschutzklage und erklärte, ordnungsgemäß zur Arbeit erschienen zu sein. Als der Arbeitgeber das Video zum Beweis des »wichtigen Grundes« in die Verhandlung einführen wollte, widersprach der Mann der Verwertung der Aufzeichnung.
Er machte geltend, die Überwachung verstoße gegen Bundes- und EU-Datenschutzrecht. Die Aufzeichnungen unterlägen deshalb im Kündigungsschutzprozess einem Verwertungsverbot. Denn die Aufnahmen seien zu lange gespeichert worden. Entsprechende Hinweisschilder hätten eine Speicherdauer von 96 Stunden ausgewiesen, die überschritten worden sei. Zudem sei in einer Betriebsvereinbarung geregelt, Videoaufzeichnungen dürften nicht zur Auswertung personenbezogener Daten verwendet werden.
Das Bundesarbeitsgericht hatte das letzte Wort in diesem Rechtsstreit und stellte sich auf die Seite des Arbeitgebers. Es ist unerheblich, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprach. Einer Verwertung der personenbezogenen Daten des Arbeitnehmers durch die Arbeitsgerichte steht der DSGVO nicht entgegen.
Das gilt jedenfalls für die Fälle, in denen es um ein vorsätzliches Fehlverhalten geht und eine offene Videoüberwachung stattfindet. Hier wurde auf die Kamera durch ein Schild hingewiesen und sie war auch sonst nicht zu übersehen.
In einem solchen Fall ist es grundsätzlich irrelevant, wie lange der Arbeitgeber mit der erstmaligen Einsichtnahme in das Bildmaterial zugewartet und es bis dahin vorgehalten hat.
Selbst wenn die Überwachung also nicht völlig datenschutzkonform war, führt dies nicht automatisch zu einem Beweisverwertungsverbot. Hierfür kommt es auf eine Interessenabwägung an. Im Kündigungsschutzprozess wegen eines vorsätzlichen Fehlverhaltens, das eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt, überwiegt das Interesse des Arbeitgebers an der Aufklärung des Sachverhalts das Datenschutzinteresse des Arbeitnehmers.
Ausnahme: Die offene Überwachungsmaßnahme stellt eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung dar. Das war vorliegend nicht der Fall.
BAG, Urteil vom 29.6.2023, 2 AZR 296/22