Hausnotrufanbieter haftet, wenn Vertragspartner infolge unsachgerechter Reaktion zu Schaden kommt
Ein mittlerweile verstorbener Seniorenheimbewohner mit eigener Wohnung schloss mit der Johanniter Unfallhilfe einen „Dienstleistungsvertrag zur Teilnahme am Hausnotruf“. Der Vertrag verspricht, dass ein Notrufgerät in der Wohnung des Nutzers an eine ständig besetzte Zentrale angeschlossen wird. Geht bei der Zentrale ein Notruf ein, wird laut Vertrag „unverzüglich eine angemessene Hilfeleistung vermittelt“. Dem Vertrag war zusätzlich ein Erhebungsbogen angehängt. Daraus ergab sich, an welchen Erkrankungen der Mann litt und dass er unter anderem ein erhöhtes Schlaganfallrisiko hatte.
Im Jahr 2012 betätigte der Mann den Notruf. Der Johanniter-Mitarbeiter, der den Anruf entgegennahm, hörte minutenlang nur ein Stöhnen. Mehrere Versuche, den Anrufer telefonisch zu erreichen, schlugen fehl. Die daraufhin alarmierten Sicherheitsmitarbeiter fanden den Mann am Boden liegend vor, sie setzten ihn auf die Couch. Danach ließen sie ihn alleine und ohne jegliche ärztliche Versorgung in der Wohnung zurück. Zwei Tage später wurde bei dem Mann ein Schlaganfall festgestellt, der nicht mehr ganz neu war. Die Folge war eine halbseitige Lähmung und eine Sprachstörung.
Die Töchter des Seniors forderten mindestens 40.000 Euro Schmerzensgeld sowie Schadenersatz vom Verein der Johanniter. Ihr Vater habe den Schlaganfall am Tag des Notrufs erlitten. Die gravierenden Folgen wären nicht eingetreten, wenn die Mitarbeiter des Notrufdienstes keine Sicherheitskräfte, sondern einen Rettungswagen mit medizinisch qualifizierten Rettungskräften geschickt hätten.
Beim BGH sah man das auch so. Die Karlsruher Richter urteilten, dass die Johanniter ihre vertraglich zugesicherten Schutz- und Organisationspflichten grob vernachlässigt haben. Aufgrund des Notrufeingangs, des minutenlangen Stöhnens, der gescheiterten telefonischen Kontaktaufnahme und dem bekannten erhöhten Schlaganfallrisiko, hätte klar sein müssen, dass ein akuter medizinischer Notfall vorliegt. In einer derart dramatischen Situation, sei die Entsendung eines medizinisch nicht geschulten, lediglich in Erster Hilfe ausgebildeten Mitarbeiters eines Sicherheitsdienstes zur Abklärung der Situation jedenfalls keine „angemessene Hilfeleistung“, wie sie im Hausnotrufvertrag vereinbart worden war.
Deshalb greife hier eine Beweislastumkehr zugunsten des geschädigten Vertragspartners ein, obwohl grundsätzlich immer der Geschädigte beweispflichtig sei. Im Ergebnis müssen die Johanniter nun nachweisen, dass die schwerwiegenden Folgen des Schlaganfalls auch bei rechtzeitiger Hinzuziehung eines Rettungsdienstes eingetreten wären.
Das Gericht verglich den Fall mit ärztlichen Behandlungsfehlern. In Arzthaftungsfällen habe ein grober Behandlungsfehler, der einen Schaden wie hier herbeizuführen kann, in der Regel eine Umkehr der Beweislast zur Folge – und zwar dann, wenn es um den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden ginge.
Schließlich sei die Interessenlage hier, was die Berufs- oder Organisationspflichten anbetrifft, einer ärztlichen Tätigkeit vergleichbar, soweit es um den Schutz von Leben und Gesundheit anderer ginge. Die Sache ist an die Vorinstanz zurückverwiesen worden, die nun aufs Neue über den Fall zu entscheiden hat. Dabei wird unter anderem festgestellt werden müssen, ob die Pflichtverletzung durch den Johanniter-Hausnotruf für die Lähmung und Sprachstörung des Mannes ursächlich war.
(BGH, Urteil vom 11.5.2017, Az. III ZR 92/16)