Bezeichnung als „Alleinerbin“ im Testament macht keine unbeschränkte „Vollerbin“
Ein verstorbener Ehemann hatte ein Testament hinterlassen, in dem es unter anderem heißt:
„Ich verfüge als meinen letzten Willen Folgendes: Meine (zweite) Ehefrau soll Alleinerbin werden. Nach ihrem hoffentlich späten Ableben soll der Besitz an meine Tochter aus erster Ehe sowie den Sohn meiner zweiten Ehefrau je zur Hälfte übergehen.“
Das Nachlassgericht erteilte der Witwe einen Erbschein, der sie als befreite Vorerbin auswies. Die Tochter aus erster Ehe wehrte sich dagegen. Ihrer Meinung nach enthält das Testament keine Befreiung von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen des Vorerben. Das Oberlandesgericht München gab ihr recht.
Ein Alleinerbe als Vollerbe könne nach freiem Vermessen mit der Erbschaft umgehen. Der Vorerbe dürfe dagegen nicht völlig frei über den Nachlass verfügen. Diese „nicht befreite Vorerbschaft“ sei der Regelfall der Vorerbschaft. Es bedürfe einer Anordnung des Erblassers im Testament, wenn er dem Vorerben Verfügungsbefugnisse einräumen wolle. Eine ausdrückliche Erklärung lag hier aber nicht vor. Es reiche laut Gericht jedoch, wenn der Erblasser seinen Willen im Testament irgendwie, wenn nur andeutungsweise oder versteckt, zum Ausdruck gebracht habe. Die Formulierung im Testament sei hier aber neutral. Auch der Wunsch des Erblassers, seine zweite Ehefrau möge möglichst noch lange leben, lasse nicht den Schluss zu, sie als befreite Vorerbin zu sehen.
Diese Formulierung könne vielmehr als Zuwendung eines Wohnvorteils für die Alleinerbin verstanden werden. Die Einsetzung des nicht leiblichen Sohnes seiner zweiten Ehefrau zum Nacherben spreche nur dann für eine Befreiung, wenn der Erblasser keine eigenen Abkömmlinge gehabt und die zweite Ehefrau wesentlich zum Erwerb des Vermögens des Erblassers beigetragen hätte. Da der Erblasser seine Tochter aus erster Ehe auch als Nacherbin eingesetzt hatte, schloss das Gericht diese Möglichkeit aus. Die zweite Ehefrau kann damit das Haus nicht ohne Zustimmung der Kinder verkaufen.
OLG München, Beschluss vom 9.1.2019, 31 Wx 39/18