Untätigkeitsklage: Bürger müssen Behörde nicht gesondert auf Fristen hinweisen
Die Mutter und ihre zwei Kinder bezogen Grundsicherungsleistungen nach Hartz IV. In einem Leistungsbescheid vom Oktober 2020 hatte das Jobcenter zu hohe Einkünfte angerechnet (hier: € 1.400,– statt € 907,–).
Mithilfe eines Anwalts legte die Frau erfolgreich Widerspruch ein. Das Jobcenter korrigierte den Fehler und sicherte zu, die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu übernehmen. Mit einem sogenannten »Kostenfestsetzungsantrag« reichte der Anwalt seine Rechnung ein. Doch die Behörde zahlte die Verfahrenskosten nicht. Nach Ablauf der vorgesehenen 6-monatigen »Wartefrist« reichte er daher für die Frau eine Untätigkeitsklage ein.
Nun reagierte das Jobcenter sofort. Es entschied über den Kostenfestsetzungsantrag und bezahlte das Geld. Erneut gab es Streit um die Verfahrenskosten – nun für die Untätigkeitsklage.
Das Bundesverfassungsgericht stellte klar: Die Hartz-IV-Empfängerin muss die Verfahrenskosten nicht tragen. Gesetzliche Fristen gelten auch für Behörden (hier: das Jobcenter). Hier war die Entscheidungsfrist für das Jobcenter abgelaufen. Die Untätigkeitsklage ist daher zulässig und begründet. Für die Frage der Verfahrenskosten ist grundsätzlich der Ausgang des Streits maßgeblich.
Eine generelle Hinweispflicht von Bürgern, eine Behörde nach Ablauf der gesetzlichen Wartefrist auf die ausstehende Entscheidung aufmerksam zu machen, die gibt es nicht. Die Frau musste nicht nachfragen, ob die Behörde nun bald entscheidet.
Besonderheiten, die eine Untätigkeitsklage im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich erscheinen ließen, liegen nicht vor. Der Gesetzgeber hat eine Wartefrist für die Klageerhebung geregelt. Daraus folgt: Wer sich danach richtet, handelt nicht mutwillig.
BVerfG, Beschluss vom 8.2.2023, 1 BvR 311/22